Jason Spyromilio, European Southern Observatory
Einsatz kommerzieller Standardlösungen (COTS) für leistungsstarkes Computing (HPC) bei der aktiven und adaptiven optischen Steuerung in Echtzeit in extrem großen Teleskopen.
Kombination der grafischen Programmierumgebung NI LabVIEW mit Multicore-Prozessoren zur Entwicklung eines Echtzeit-Steuerungssystems um zu zeigen, dass COTS-Technologie die Optik im European Extremely Large Telescope (E-ELT) steuern kann, das sich derzeit in der Entwurfs- und Prototypingphase befindet.
Das European Southern Observatory (ESO) ist eine astronomische Forschungseinrichtung, die von 13 europäischen Ländern getragen wird. Wir haben Erfahrung in der Entwicklung und Bereitstellung einiger der weltweit fortschrittlichsten Teleskope. Unsere Organisation ist derzeit an drei Standorten in den chilenischen Anden tätig: den Observatorien La Silla, Paranal und Chajnantor. Wir haben immer hochinnovative Technologien eingesetzt, von den ersten gebräuchlichen und durch Benutzer anpassbaren optischen Systemen am 3,6-m-Teleskop in La Silla über die Bereitstellung aktiver Optik auf dem 3,5-m-New-Technology-Telescope (NTT) in La Silla bis hin zum den integrierten Betrieb des Very Large Telescope (VLT) und des dazugehörigen Interferenzmessers in Paranal. Darüber hinaus arbeiten wir mit unseren nordamerikanischen und ostasiatischen Partnern beim Bau des Atacama Large Millimeter Array (ALMA) zusammen, einem 66-Antennen-Submillimeter-Teleskop, für das eine Milliarde US-Dollar aufgewendet wird und das 2012 am Llano de Chajnantor fertiggestellt werden soll.
Das nächste Projekt auf unserem Reißbrett ist das E-ELT. Der Entwurf für dieses Teleskop mit 42 m Hauptspiegeldurchmesser befindet sich in Phase B und erhielt 100 Millionen US-Dollar an Finanzierung für das vorläufige Design sowie das Prototyping. Nach der Phase B soll die Konstruktion Ende 2010 beginnen.
Das 42-m-Teleskop baut auf der Erfahrung des ESO und der astronomischen Gemeinschaft mit aktiver und adaptiver Optik und segmentierten Spiegeln auf. Aktive Optik umfasst eine Kombination von Sensoren, Hubgetrieben und einem Steuersystem, so dass das Teleskop die korrekte Spiegelform, auch Kollimation genannt, beibehalten kann. Wir behalten die richtige Konfiguration für das Teleskop aktiv bei, um verbleibende Abweichungen im optischen Design zu reduzieren und die Effizienz und Fehlertoleranz zu erhöhen. Diese Teleskope erfordern in jeder Minute der Nacht eine aktive optische Korrektur, so dass die Bilddarstellung nur durch atmosphärische Effekte beschränkt wird.
Die adaptive Optik verwendet eine ähnliche Methode, um die atmosphärischen Effekte bei Frequenzen von mehreren Hundert Hertz zu überwachen und mit Hilfe eines verformten, angemessen konfigurierten dünnen Spiegels zu korrigieren. Die Länge der Turbulenzskala bestimmt die Anzahl der Hubgetriebe an diesen verformbaren Spiegeln. Die Wellen-Frontsensoren laufen schnell, um die Atmosphäre abzutasten und alle Abweichungen in Befehle für den Spiegel umzuwandeln. Dazu werden sehr schnelle Hardware und Software benötigt.
Die Steuerung eines solch komplexen Systems erfordert eine extrem hohe Verarbeitungsleistung. Zur Steuerung von Systemen, die in der Vergangenheit implementiert wurden, haben wir proprietäre Steuerungssysteme entwickelt, die auf der Steuerung der virtuellen Maschinenumgebung (VME) in Echtzeit basieren. Das kann jedoch kostspielig und zeitaufwendig sein. Wir arbeiten mit Ingenieuren von National Instruments zusammen, um das Steuerungssystem für den primären segmentierten E-ELT-Spiegel namens M1 unter Verwendung von COTS-Software und -Hardware zu benchmarken. Gemeinsam sehen wir uns auch mögliche COTS-basierte Lösungen für die adaptive Spiegelsteuerung des Teleskops in Echtzeit, auch M4 genannt, an.
Der M1 ist ein segmentierter Spiegel, der aus 984 sechseckigen Spiegeln besteht (Abbildung 1), von denen jeder fast 330 Pfund wiegt, einen Durchmesser zwischen 1,5 und 2 m aufweist und damit einen Gesamtdurchmesser von 42 m bildet. Im Vergleich dazu hat der Hauptspiegel des Hubble-Weltraumteleskops einen Durchmesser von 2,4 m. Allein der einzelne Hauptspiegel des E-ELT wird viermal so groß wie jedes optische Teleskop auf der Erde sein und fünf Spiegel enthalten (Abbildung 2).
Bei der Bedienung des M1 können benachbarte Spiegelsegmente in Bezug auf die anderen Segmente kippen. Wir überwachen diese Abweichung mit Hilfe von Sensoren an Begrenzungslinien und Hubgetriebebeinen, die das Segment bei Bedarf um 3 Grad in jede beliebige Richtung bewegen können. Die 984 Spiegelsegmente umfassen 3.000 Hubgetriebe und 6.000 Sensoren (Abbildung 3).
Das von derLabVIEW-Software gesteuerte System muss die Sensoren abfragen, um die Position der Spiegelsegmente zu bestimmen. Wenn sich die Segmente bewegen, müssen sie mit Hilfe der Hubgetriebe neu ausgerichtet werden. LabVIEW berechnet eine Matrix von 3.000 mal 6.000 mal 6.000 Vektorprodukten und muss diese Berechnung 500 bis 1.000 Mal pro Sekunde durchführen, um effektive Spiegeleinstellungen vorzunehmen.
Sensoren und Hubgetriebe steuern außerdem den adaptiven M4-Spiegel. Der M4 ist jedoch ein dünner, verformbarer Spiegel mit einem Durchmesser von 2,5 m, der über 8.000 Hubgetriebe verteilt ist (Abbildung 4). Dieses Problem ähnelt dem der aktiven M1-Steuerung. Doch anstatt die Form beizubehalten, müssen wir sie basierend auf den gemessenen Wellenfront-Bilddaten anpassen. Die Wellenfrontdaten werden auf einem Vektor mit 14.000 Werten abgebildet, und wir müssen die 8.000 Hubgetriebe alle paar Millisekunden aktualisieren, um eine Matrix-Vektor-Multiplikation einer 8.000 x 14.000 Steuermatrix mit einem 14.000er-Vektor vorzunehmen. Rundet man den rechnerischen Aufwand auf 9.000 x 15.000 auf, dann erfordert das etwa das 15-fache dessen, was für die Steuerungsberechnung des großen segementierten M1 benötigt wird.
Wir arbeiteten bereits mit NI an einem Datenerfassungs- und Synchronisationssystem mit hoher Kanalanzahl zusammen, als NI das Problem der Berechnung und Steuerung in Angriff nahm. Ingenieure von NI simulieren das Layout und entwerfen die Steuerungsmatrix und die Steuerungsschleife. Das Herzstück dieser Operationen ist eine sehr große LabVIEW-Matrix-Vektor-Funktion, die den Großteil der Berechnung ausführt. Die Steuerung des M1 und des M4 erfordert enorme Rechenleistung, welche wir mit mehreren Multicore-Systemen bereitgestellt haben. Da die M4-Steuerung 15 Untermatrixprobleme à 3.000 x 3.000 darstellt, benötigen wir 15 Maschinen, die so viele Kerne wie möglich enthalten müssen. Daher muss das Steuerungssystem die Multicore-Verarbeitung steuern. Diese Verarbeitung ist eine Funktion, die LabVIEW mithilfe von COTS-Lösungen bietet, wodurch ein sehr attraktiver Lösungsvorschlag für dieses Problem entsteht.
Da wir vor der eigentlichen E-ELT-Konstruktion auf die Entwicklung des Steuerungssystems angewiesen sind, konnte die Systemkonfiguration einige der Konstruktionsmerkmale des Teleskops beeinflussen. Es war von entscheidender Bedeutung, die Lösung so gründlich zu testen, als würde sie das tatsächliche Teleskop ausführen. Um diese Herausforderung zu meistern, haben die Ingenieure von NI nicht nur das Steuerungssystem implementiert, sondern auch ein System, das eine Echtzeitsimulation des M1-Spiegels vornimmt, um einen Hardware-in-the-Loop-Steuerungssystemtest (HIL) durchzuführen. HIL ist eine im Automobil- und Luft- und Raumfahrt häufig verwendete Testmethode zur Validierung eines Controllers unter Verwendung eines genauen Real-Time-Systems. Ingenieure von NI haben einen M1-Spiegelsimulator entwickelt, der auf die Ausgaben des Steuerungssystems reagiert und seine Leistung validiert. Das NI-Team hat das Regelsystem und die Spiegelsimulation mithilfe von LabVIEW entwickelt und auf einen Multicore-PC mit dem LabVIEW Real-Time Module zur deterministischen Ausführung bereitgestellt.
Bei ähnlichen Echtzeit-HPC-Anwendungen sind Kommunikations- und Rechenaufgaben eng miteinander verknüpft. Fehler im Kommunikationssystem führen zu Fehlern im gesamten System. Daher umfasst der gesamte Anwendungsentwicklungsprozess den Entwurf der Kommunikations- und Recheninterfaces. Die Ingenieure von NI waren auf einen schnellen und deterministischen Datenaustausch im Kern des Systems angewiesen und stellten sofort fest, dass gewöhnliches Ethernet für die Kommunikation für diese Anwendung nicht verlässlich ist, da das zugrunde liegende Netzwerkprotokoll nicht deterministisch ist. Mit Hilfe der zeitgetriggerten Netzwerkkomponente des LabVIEW Real-Time Module konnten Daten zwischen dem Regelsystem und dem M1-Spiegelsimulator ausgetauscht werden. Das Ergebnis war ein Netzwerk, das deterministisch 36 MB/s bewegt.
NI hat die komplette M1-Lösung entwickelt, die zwei Dell Precision T7400-Geräte mit jeweils acht Kernen umfasst und zusätzlich ein Notebook mit einer Bedienoberfläche aufweist. Außerdem enthält es zwei Netzwerke: ein Standardnetzwerk, das beide Real-Time-Ziele mit dem Notebook verbindet, und ein zeitgetriggertes Ethernet-Netzwerk mit Durchsatz von 1 GB zwischen den Real-Time-Zielsystemen zum Austausch von I/O-Daten (Abbildung 5).
Was die Systemleistung betrifft, haben wir gelernt, dass der Controller 6.000 Sensorwerte empfängt, den Regelalgorithmus ausführt, um die Segmente auszurichten und 3.000 Hubgetriebewerte pro Schleife ausgibt. Das Team von NI hat dieses Steuerungssystem entwickelt, um besagte Ergebnisse zu erzielen, und auch eine Teleskop-Echtzeitsimulation, die als „der Spiegel“ bezeichnet wird. Der Spiegel empfängt die 3.000 Hubgetriebeausgaben, fügt eine Variable hinzu, die für atmosphärische Störungen wie Wind steht, führt den Spiegelalgorithmus zur Simulation des M1 aus und gibt 6.000 Sensorwerte aus, um die Schleife abzuschließen. Die gesamte Steuerungsschleife wird in weniger als 1 ms abgeschlossen, um den Spiegel ordnungsgemäß zu steuern (Abbildung 6).
Zu den Benchmarks, die NI-Ingenieure für ihre Matrix-Vektor-Multiplikationen erstellt haben, gehören folgende:
Der M4 kompensiert gemessene atmosphärische Wellenformfehler, und NI-Ingenieure stellten fest, dass das Problem nur mit einem hochmodernen Multicore-Flügelsystem gelöst werden konnte. Dell hat das Team eingeladen, die Lösung auf dem M1000, einem System mit 16 Flügeln (Abbildung 7), zu testen. Die Testergebnisse waren ermutigend. Jede der M1000-Flügelmaschinen verfügt über acht Kerne, was bedeutet, dass die Ingenieure das LabVIEW-Steuerungsproblem auf 128 Kerne verteilt haben.
Die Ingenieure von NI haben gezeigt, dass wir mit LabVIEW und dem LabVIEW Real-Time Module eine COTS-basierte Lösung implementieren und Multicore-Berechnungen für Echtzeitergebnisse steuern können. Aufgrund dieses Durchbruchs in der Leistung setzt unser Team weiterhin Benchmarks für die Informatik und Astronomie bei der Implementierung des E-ELT fest, wodurch der wissenschaftliche Fortschritt als Ganzes vorantrieben wird.
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Jeff Meisel, LabVIEW Product Manager
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